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Ophthalmologische Rehabilitation für sehbehinderte und blinde Menschen – ein Menschenrecht?! Neue Ansatzpunkte …

Referat von Rechtsanwalt Christian Seuß, Aktionsbündnis „Sehen im Alter“ auf der Fachtagung der AG Senioren des Verbandes für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (VBS) vom 9. bis 11. Februar 2017 in Marburg/Lahn

85 % der sinnlich wahrgenommenen Informationen werden visuell erfasst. Damit liegt es auf der Hand, dass Sehverlust im Alter gravierende Auswirkungen auf die Lebensführung der Betroffenen hat.

Primäre Folgen von Sehverlust im Alter sind unter anderem:

  • Schwierigkeiten bei der Haushalts- und Lebensführung
  • Einschränkungen bei der Kommunikation
  • Probleme beim Lesen von Informationen in schriftlicher Form
  • Einschränkungen bei der Orientierung und Mobilität

Sekundäre Folgen sind unter anderem:

  • drohende Pflegebedürftigkeit
  • erhöhte Sturzgefahr
  • psychische Erkrankungen und Anpassungsstörungen
  • orthopädische Schäden durch sehbehinderungsbedingte Fehlhaltungen
  • drohende soziale Isolation

Und wichtig ist: Sehverlust geht die ganze Familie an, vor allem den Partner oder die Partnerin.

In fast allen Teilen Deutschlands haben es aktuell Menschen, die von Sehverlust im Alter betroffen sind, schwer, ein ganzheitliches Training nach Sehverlust zu erhalten, um verloren gegangene Selbstständigkeit wieder zu gewinnen und Wege zurück ins Leben zu finden.

  • Es gibt keine medizinische Rehabilitationsleistung nach Sehverlust als Regelleistung.
  • Nur das Orientierungs- und Mobilitätstraining als individuelle Schulung im Gebrauch des Weißen Blindenlangstocks ist eine Kassenleistung der GKV.
  • Das LPF-Training, bei dem Alltagsfähigkeiten vermittelt werden, ist eine Leistung der Eingliederungshilfe und damit abhängig von den persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
  • Einziger "Leuchtturm" in Deutschland ist der Ambulante Soziale Beratungs- und Reha-Dienst des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes e. V., der Betroffenen in Bayern einen niederschwelligen Zugang zu Beratung und Rehabilitation bietet.

Die unzureichende Versorgung sehbehinderter Menschen widerspricht der seit 26.02.2009 in Deutschland geltenden UN-Behindertenrechtskonvention.

Artikel 26 UN-BRK enthält ein Menschenrecht auf Habilitation und Rehabilitation. Der komprimierte Inhalt lautet:

„(1)Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, … um Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen.

Zu diesem Zweck organisieren die Vertragsstaaten umfassende Rehabilitationsdienste.

Die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene sowie die Verwaltungen in Deutschland sind deshalb rechtlich verpflichtet, die Rehabilitation für Menschen mit Sehverlust umfassend zu regeln.“

Fachtagung „Ophthalmologische Rehabilitation“ am 29.01.2016

Auf der Fachtagung zum Thema "Ophtalmologische Rehabilitation" ging es im Wesentlichen um Voraussetzungen, Inhalte und Finanzierung einer medizinischen Rehabilitation nach Sehverlust.

Organisatoren waren der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR).

Rund 50 Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen nahmen teil. So zum Beispiel aus:

  • Augenmedizin und Augenoptik
  • Gesundheitswesen, Pflege und Rehabilitation
  • Selbsthilfe, Patientenbelange und Kostenträger

Tagungsdokumentation

Es ergaben sich zwei neue Ansätze aus der Fachtagung:

  1. Ergänzung der Mobilen Reha-Dienste in der Geriatrischen Reha um eine gezielte Förderung von älteren Menschen bei der Alltagsbewältigung und in lebenspraktischen Fähigkeiten. Ergänzt werden soll das Team mit Rehabilitationslehrern für blinde und sehbehinderte Menschen. Um den Nutzen dieser ergänzten Reha-Teams nachweisen zu können, sollen Modellversuche mit wissenschaftlicher Begleitung gestartet werden.
  2. Erarbeitung eines neuen Konzepts der Medizinischen Basis-Rehabilitation - nach Sehverlust mit Blick auf ICD-Anforderungen, unter Berücksichtigung der individuellen gesundheitlichen Situation und der persönlichen Lebensumstände und Bedürfnisse (Förderangebote wahlweise mobil, ambulant oder stationär).

Verabredet wurde die Gründung eines "Runden Tisches" mit Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten.

Welche Veränderungen gibt es nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)?

Das BTHG tritt in mehreren zeitlichen Stufen schrittweise in Kraft. Mit der ersten Stufe am 30.12.2016 wurde Taubblindheit mit dem Merkzeichen „tbl“ im Schwerbehindertenausweis als eigenständige Behinderung anerkannt. Nächste Stufen sind jeweils der 1. Januar 2017 und der Folgejahre.

Die letzte Stufe des Inkrafttretens ist der 1. Januar 2023, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe neu gefasst werden.

Als Fazit kann festgehalten werden:

  • Bis 2019 gibt es keine wesentlichen Änderungen für LPF, nur erweiterte Einkommens- und Vermögensgrenzen.
  • Ab 2020 gelten neue gesetzliche Vorschriften im SGB IX für die Eingliederungshilfe mit Ansatzpunkten für Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach dem neuen § 81 SGB IX.

Das Gebot der Stunde lautet: Zeit für neue Konzepte nutzen!

Alle Interessierten sind eingeladen zur Mitarbeit beim Runden Tisch und können sich melden bei:

Christian Seuß
Aktionsbündnis Sehen im Alter

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV)
Tel.: 030/285387-294
Fax: (030) 28 53 87-200
Mobil: (01 71) 5 40 97 30
E-Mail: c.seuss@dbsv.org

Rungestraße 19
10179 Berlin

www.dbsv.org

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Statement des Aktionsbündnis-Mitglieds Inclusion AG 

„Barrierefreiheit ist mehr als rollstuhlgerecht und gerade für ältere Menschen mit Sehproblemen wichtig, auch in Hinblick auf Treppensicherheit und Sturzgefahr.“

Inclusion AG