Wenn die Diagnose am Rechner statt­findet: Pilotprojekt zeigt tele­medizinische Lösungen für Bewohnerinnen und Bewohner in Pflege­einrichtungen auf

Die Über-80-Jährigen sind in Bezug auf Augen­erkrankungen eine Hochrisikogruppe. Krankheiten wie der graue Star (Katarakt), der die Sehkraft akut einschränkt, zeigen eine deutliche Altersabhängigkeit. Dasselbe gilt für das Glaukom oder die alters­abhängige Makula-Degeneration (AMD), die zu einem permanenten Sehverlust führen können. Die augenärztliche Versorgung von Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeeinrichtungen verdient daher besondere Aufmerksamkeit, findet jedoch nicht in ausreichendem Umfang statt.

Wie telemedizinische Ansätze helfen können, die ophthalmologische Versorgung von älteren Menschen zu verbessern und dem Sehverlust entgegenzuwirken, wird ein Thema auf der Presse­konferenz des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V. (DBSV) in Kooperation mit der BAGSO – Bundesarbeits­gemeinschaft der Seniorenorganisationen sein. Die Veranstaltung ist anlässlich der 4. Fachtagung „Sehen im Alter“ am Donnerstag, den 13. Juni 2024 von 11:00 bis 12:00 Uhr geplant.

Regelmäßige ophthalmologische Untersuchungen finden in Pflegeeinrichtungen meist nicht statt – und die Bewohnerinnen und Bewohner sind oft nicht mobil genug, um sich ihrerseits in die augenärztliche Praxis zu begeben. „Auf diese Versorgungslücke, die sich im Zuge des demografischen Wandels vermutlich noch vergrößern wird, haben in den letzten Jahren mehrere Studien hingewiesen“, sagt Dr. Leon von der Emde von der Universitäts-Augenklinik Bonn (Direktor: Professor Dr. F. G. Holz), der das Thema auf der Pressekonferenz vorstellen wird. Bereits heute sei die Tragweite des Problems bei einer Zahl von knapp 800.000 älteren Menschen, die in rund 13.600 Pflegeeinrichtungen in Deutschland leben, beträchtlich.

In einer eigenen Studie hat von der Emde nun untersucht, welche Möglichkeiten die Telemedizin bietet, um die Früherkennung gravierender Augenerkrankungen in Seniorenheimen zu verbessern. In Kooperation mit drei Pflegeeinrichtungen in Bonn nahm hierzu speziell geschultes, aber nicht-augenärztliches Personal verschiedene Augenuntersuchungen vor. In eigens ausgestatteten Untersuchungszimmern konnten neben der Sehschärfe auch ein Amsler-Gitter-Test, eine Augeninnendruckmessung, eine Spaltlampenuntersuchung, eine optische Kohärenztomographie (OCT) des Augenhintergrundes und eine Refraktometrie durchgeführt werden.

„Mit diesen Verfahren können der aktuelle Status von Sehleistung und gegebenenfalls vorhandener Sehhilfe sowie die wichtigsten Augen­erkrankungen und Risikofaktoren erfasst werden“, erläutert von der Emde. Die Untersuchungen konnten bei fast allen Teilnehmenden auch ohne fachärztliche Anwesenheit erfolgreich vorgenommen werden: Eine Sehschärfenbestimmung war in knapp 90 Prozent der Fälle möglich, eine Befundung des vorderen Augenabschnitts in 92,7 Prozent und eine Messung des Augeninnendrucks in 100 Prozent der Fälle. Die Aufnahme von Netzhautbildern gelang ebenfalls bei knapp 90 Prozent der Teilnehmenden, und die Bildqualität war hoch.

Die Untersuchungsergebnisse wurden pseudonymisiert an die Universitätsklinik Bonn übermittelt und dort augenärztlich befundet. „Dabei zeigte sich, dass über 60 Prozent der Brillen nicht adäquat angepasst waren, dass fast jeder zweite Bewohner einen grauen Star hatte, der die Sehkraft einschränkte, und dass fast jeder Vierte AMD-typische Veränderungen aufwies“, fasst von der Emde die Ergebnisse zusammen. Zugleich sei auch ein erheblicher Informationsmangel festgestellt worden: Nur 31,2 Prozent der Seniorinnen und Senioren waren über ihre Diagnosen und den daraus resultierenden Behandlungsbedarf ausreichend informiert. Besonders ausgeprägt war die Unterversorgung bei Bewohnerinnen und Bewohnern mit höherem Pflegegrad und mit längerer Aufenthaltsdauer in den Pflegeheimen. In diesen Gruppen war der Anteil der Personen, die keine regelmäßigen Augenuntersuchungen wahrnahmen, am höchsten. Auch wiesen sie ein deutlich schlechteres Sehvermögen auf.

„Diese Risikofaktoren zu kennen, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Versorgung“, sagt Privatdozent Dr. med. Thomas Ach, Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor der Universitäts-Augenklinik Bonn. Die zentrale Erkenntnis aus der Studie sei jedoch, dass sich diagnostische Barrieren in Pflegeheimen effektiv abbauen ließen, wenn eine Untersuchung durch geschultes Personal vor Ort mit einer teleophthalmologischen Befundung kombiniert werde. Gezielte Therapien wie eine Katarakt-Operation oder eine Brillenanpassung ließen sich dann zeitnah einleiten.

Höhere Hürden bestünden jedoch bei der Therapie der AMD: Hier sei eine wirksame, das Augenlicht erhaltende Behandlung mit regelmäßigen Injektionen in das Auge verbunden, die jeweils einen Besuch in der augenärztlichen Praxis erforderten. Angesichts von Mobilitätseinschränkungen und Fachkräftemangel bleibe dies eine Herausforderung, die nicht leicht zu bewältigen sei. Ein Antrag für ein Projekt, das diese Probleme angeht, ist kürzlich beim Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss eingereicht worden.

Terminhinweise

4. Fachtagung „Sehen im Alter“

Verständnis verbessern, Versorgung verbessern, Sehen verbessern

Termin: 14./15. Juni 2024
Ort: Gustav-Stresemann-Institut e. V.
Langer Grabenweg 68, 53175 Bonn

Alle Informationen zur Fachtagung

Ausführliches Programm der Tagung zum Download (PDF)

Medienschaffende sind zur Teilnahme an der Fachtagung herzlich eingeladen.

Online-Pressekonferenz anlässlich der Fachtagung

Termin: Donnerstag, 13. Juni 2024
11:00 bis 12:00 Uhr

Anmeldung unter:
https://us02web.zoom.us/webinar/register/WN_dpUVW_qsRiuBQatJOE5ybg

Die vorläufigen Themen der Pressekonferenz sind:

  • 4. Fachtagung „Sehen im Alter“ – Themen und Highlights
  • Wie Sehverlust gezielt verhindert werden kann: die Rolle von Prävention und Früherkennung
  • Was trotz Sehverlust im Alter noch geht: Projekt „LiA“ untersucht Reha und Sehen im höheren Erwachsenenalter
  • Wie Sehverlust Engagement verhindert: Erkenntnisse einer neuen Studie zur politischen und gesellschaftlichen Partizipation älterer Menschen mit Behinderung
  • Mit Telemedizin gegen Sehverlust in Pflegeheimen: Zukunftsperspektiven durch teleophthalmologische Versorgung

Die 4. Fachtagung „Sehen im Alter“ wird vom Deutschen Blinden- und Sehbehinderten­verband e. V. (DBSV) in Kooperation mit der BAGSO – Bundesarbeits­gemeinschaft der Seniorenorganisationen e. V. organisiert. Sie wird durch die Aktion Mensch gefördert und zudem unterstützt durch die Novartis Pharma GmbH und die Roche Pharma AG.

In diesem Jahr findet die Fachtagung unter dem Motto „Verständnis verbessern, Versorgung verbessern, Sehen verbessern“ am 14. und 15. Juni in Bonn statt.

Pressekontakt

Pressestelle 4. Fachtagung „Sehen im Alter“
Michaela Richter und Corinna Spirgat

Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart

Telefon: 0711 8931-516 / -293
Fax: 0711 8931-167

richter@medizinkommunikation.org
spirgat@medizinkommunikation.org

Zurück

Die 4. Fachtagung „Sehen im Alter“ wird durch die Aktion Mensch gefördert und zudem unterstützt durch die Novartis Pharma GmbH und die Roche Pharma AG.